Es ist schon etwas her, im Zuge der Neugestaltung der Webseite ging der Artikel auch kurzzeitig verschüttet – aber hier ist er nun wieder. Letztes Jahr im Sommer erschien ein schöner Artikel zu den Berliner Gasteltern von Moers.
Erschienen im Seniorenjournal Steglitz-Zehlendorf 2014/2015, Juli 2014
Mehr als Tisch und Bett

Der Anfang war eher zufällig. Ein einstiger Schulkamerad lotste Claudius und Ursula von Moers aus Zehlendorf zu „COPERNICUS“. Das vermutete Sternwarten-Projekt entpuppte sich als Gründungsveranstaltung eines Berliner Vereins zur Förderung Studierender aus Osteuropa und Zentralasien. Eine der ersten drei StipendiatInnen, die für ein Semester an der Humboldt-Universität studierten, war zwar vorerst in einem Studentenwohnheim untergebracht, doch es wurden noch Gasteltern gesucht. „Wir kamen mit leeren Händen und gingen mit Oksana aus Moskau nach Hause.“ Damals, im November 2000, arbeitete von Moers als Richter am Landgericht Berlin. Doch der Beruf neigte sich dem Ende zu – „dass ich dann meine junge Nachfolgerin nicht in Ruhe einarbeiten durfte und mit Punkt 65 aufhören musste, bedauere ich heute noch“ – und die drei Kinder waren flügge geworden. Da brachte „COPERNICUS“ frischen Wind in das idyllisch gelegene kleine Reihenhaus in der Taut-Siedlung nahe der Krummen Lanke.

Hausschlüssel zur Begrüßung

Der Verein, der zuvor schon in Hamburg ins Leben gerufen worden war, lebt von ehrenamtlichem Engagement. Das knappe Dutzend Studenten und junger Wissenschaftler und Ältere wie Claudius von Moers sichten Bewerbungen, organisieren Skype-Gespräche, kümmern sich um organisatorische Starthilfe, Gasteltern und die nötigen Finanzen. Die kommen von verschiedenen Stiftungen, Unternehmen, auch Privatleuten – „und sind gut angelegt“, davon ist Claudius von Moers überzeugt. Acht bis neun Stipendiaten hat das Ehepaar vonMoers bis heute betreut. Oksana aus Moskau folgten zwei Aserbaidshaner, eine Rumänin, ein Pole, eine Polin, eine weitere Russin, eine Ukrainerin und eine Belarussin. „Die meisten studierten politische Wissenschaften, sind heute in ihrer Heimat gefragte Fachleute oder in der Welt unterwegs. Als erstes habe ich jedem bei der Begrüßung den Hausschlüssel in die Hand gedrückt. Manchmal haben wir gemeinsam gefrühstückt, manchmal lange Gespräche am Abendbrottisch geführt. Aber oft waren sie auch nach den Vorlesungen in Berlin unterwegs.“ Da hat der „Gastvater“ immer ein bisschen ein Auge auf die „jungen Damen“ gehabt, bis sie abends wieder daheim waren. „Aber eingeengt sollten sie sich nicht fühlen.“

Gasteltern weiter gesucht

Auch wenn die beiden, der wachsenden Enkelschar wegen, nun selbst keine „Einquartierung“ mehr haben, ist der jung gebliebene 76-Jährige bei den regelmäßigen Plenen dabei, wo Stipendiaten und „Copernicaner“ miteinander reden. Er gibt mit anderen Gasteltern dem Team der Studenten bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit durch seine Erfahrungen „Rückendeckung“, besucht die Länderabende, wo sich die Stipendiaten dann mit einem Thema und kulinarischen Kostproben aus ihrer Heimat für die Gastfreundschaft revanchieren. Er hilft mit, Unternehmen und Institutionen für das anschließende sechswöchige Praktikum zu finden. Und er wirbt im Freundes- und Bekanntenkreis um weitere Gasteltern und neue Sponsoren. „Es ist schade, dass es so schwierig ist, Interessierte zu finden unter den dreieinhalb Millionen Einwohnern in Berlin. Ideal wäre natürlich, wenn noch Kinder um die Zwanzig im Haus sind. Aber wir haben auch ältere Damen, die mit ihren Stipendiaten wunderbar zurecht kommen.“ Falls die Chemie wirklich mal nicht stimmt, was sehr selten vorkommt, kann die Gastfamilie noch gewechselt werden. „Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Natürlich gab es anfangs auch mal Missverständnisse und verschiedene Vorstellungen. Aber im Großen und Ganzen war der Aufenthalt jedes Mal eine große Bereicherung. Man lernt eine andere Kultur kennen und überprüft die eigenen Werte.“ Und als ihr Aserbaidshaner sehnsüchtig auf das vielstrapazierte Fahrrad vor der Haustür blickte, hat ihm Ursula von Moers mit Geduld und Erfolg das Radfahren beigebracht.

Kontakte bis heute

2010 lud der Verein die bisherigen rund 70 Stipendiaten zum Zehnjährigen ein, „und viele sind gekommen“, erinnert sich Claudius von Moers. Er hat mit all „seinen“ Gaststudenten noch heute Kontakt. Sie schicken Mails oder kommen zu Besuch, einige sogar mit Mann bzw. Frau und Kind. Einer bat ihn um Begutachtung einer wissenschaftlichen Arbeit, „eine hat uns zu ihrer Hochzeit eingeladen, nach Warschau, mit 170 Gästen! Wenn ich alle Einladungen annehmen würde, könnte ich eine Rundreise durch Osteuropa machen“, lacht der Zehlendorfer.

Renate Wagner