Copernicus

Alles begann mit einer Zoom-Konferenz, bei der ich mit glänzenden Augen in meinem schlechten Deutsch zu beweisen versuchte, dass diese sechs Monate in Deutschland wirklich wichtig für mich sind. Ein paar Tage des Wartens, und schon sitze ich in einer Vorlesung über Zivilprozesse, ich schaue auf die Mail und sehe…. Absage. Es flossen Tränen, meine Familie und mein Freund haben mich unterstützt und getröstet, sie sagten, du wirst nicht weggehen, wenn du wirklich willst – du wirst nach Deutschland gehen.

Zwei Monate vergingen, ich fuhr zu meiner Freundin mit dem Nachtzug nach St. Petersburg zu ihrem Geburtstag. Ich erinnere mich, dass ich in einer schrecklichen Stimmung war, einer inneren Leere. Vor dem Schlafengehen schaute ich in die E-Mail und sah: „Wir haben folgende Neuigkeiten:

da eine unserer Stipendiaten das Copernicus-Stipendium für das Wintersemester 2023 mit ihrer Heimatuni leider nicht vereinbare kann, wird sie ab April nicht teilnehmen können. 

Nach dem Bewerbungsgespräch warst Du eine der Favoriten und Du stehst als Nächste auf unserer Liste, deswegen möchten wir mit Dir gern noch kurz via Zoom austauschen, um uns final entscheiden zu können.“ Mit diesem Brief begann ein unglaublicher neuer Abschnitt in meinem Leben.

Dritter April 2023. Nach einem achtzehnstündigen Flug komme ich allein in Hamburg an. Als ich den Flughafen verlasse, werde ich von meinem Gastvater Axel mit offenen Armen empfangen. Schon vom ersten Moment merke ich,

dass ich in Sicherheit bin und es mir gut gehen wird.

Ich möchte meiner Gastfamilie ein großes Dankeschön aussprechen. Sie haben mir nicht nur geholfen, in das deutsche Leben und die deutsche Kultur einzutauchen und mein Deutsch zu verbessern, sondern mich auch mit vielen interessanten Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, Lebensansichten und Schicksalen bekannt gemacht. Dank Axel und Sibylla habe ich viel über Etikette, Mode und Kunst gelernt. Unsere Frühstücke mit Axel gaben mir mehr Bildung als die Universität: Wir sprachen viel über Politik, Kunst, Lifestyle, Literatur, Musik, Werte und Prinzipien. Allein die Erfahrung, in einer anderen Familie zu leben, war für mich ein großer Impuls für meine Persönlichkeitsentwicklung.

Das Studium an der Universität war schwierig, aber interessant. Am Anfang fiel es mir schwer, 1,5 Stunden Vorlesungen auf Deutsch zu hören. Aber die Universität Hamburg ist ein Ort der Freiheit. Das Universitätssystem ist ganz anders als das russische. Niemand zwingt dich, hier zu studieren – du musst es bewusst selbst tun. Man wählt seine Fächer selbst aus, man besucht Vorlesungen und Seminare auf eigene Faust, und die Anwesenheit wird praktisch nicht kontrolliert. Es ist dieser Ansatz des Bildungssystems, der ganze Individuen formt, die erkennen, warum sie um 6:00 Uhr aufstehen und zur ersten Vorlesung gehen. Die Rechtsvorlesungen waren interessant, vor allem gefiel mir die Art und Weise, wie die Professoren die Menschen- und Bürgerrechte und -freiheiten betonen – in Deutschland ist das wirklich kein leeres Wort.

Ich habe auch Sprachkurse in Englisch und Deutsch belegt, die mir sehr gut gefallen haben. Ich habe nicht nur meine Sprache verbessert, sondern auch viele neue Leute kennen gelernt.

Im Allgemeinen ist die Universität für mich zu einem warmen und freundlichen Ort geworden, wo man Kontakte knüpfen kann, wo es viele Möglichkeiten gibt, zu lernen und seine Freizeit zu verbringen.

In unserer Freizeit sind wir viel gereist. Während der 6 Monate in Deutschland habe ich folgendes besucht: Lübeck, Lüneburg, Altes Land, Stade, Bremen, Schwerin, Helgoland, Hannover, Büsum, Husum, Berlin, Düsseldorf, Dresden, Leipzig, München, Eutin. Auch in Italien war ich schon zweimal. Bei diesen kurzen, meist eintägigen Ausflügen haben die anderen Studenten und ich die Schönheit der Gegend, die Küche, die Museen und Galerien erkundet. Das hat unsere Zeit in Deutschland noch bunter, interessanter und tiefgründiger gemacht.

Ein weiterer Aspekt des Eintauchens in die deutsche Kultur war das Praktikum in einem deutschen Unternehmen. Ich hatte das große Glück, einen Platz als Praktikantin bei der ADS-Steuerberatung zu bekommen. Hier konnte ich zum einen sehen, wie eine große deutsche Firma arbeitet. Zweitens habe ich jeden Tag mit sehr coolen Kollegen auf Deutsch kommuniziert, die sogar eine Tabelle in Exel erstellt haben, in der sie Redewendungen und ihre Erklärungen für mich eingetragen haben. Drittens: Ich habe mit deutschen Systemen gearbeitet, so dass ich neue Fähigkeiten erlernt habe. Viertens: Da ich mit personenbezogenen Daten arbeite, habe ich mehr über deutsche Namen, die Höhe des Gehalts und die Leistungen und Versicherungen für deutsche Bürger gelernt.

Außerdem wäre meine Erfahrung ohne das Copernicus-Team nicht so großartig gewesen. Die Menschen und ihre Unterstützung sind das Wichtigste. Das Gefühl, dass man nicht allein ist, dass man Teil der großen Copernicus-Familie ist, kann man nicht vergessen. Ich bin allen, mit denen wir in diesen 6 Monaten zu tun hatten, sehr dankbar. Ich bin dankbar für die Erfahrung, für die Kontakte und die gemeinsam verbrachte Zeit.

Ich schreibe diesen Abschiedsbrief, während ich im Flugzeug Moskau-Ankara-Berlin sitze. Meine sechs Monate als Stipendiatin sind zu Ende gegangen. Aber mein Leben in Deutschland fängt gerade erst an – und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich es ohne Copernicus geschafft hätte. Ich habe mich sehr verändert, ich habe viel über mich selbst und die Welt da draußen gelernt.

Diese sechs Monate waren einige der besten in meinem Leben.

Dafür danke ich Copernicus, ich danke Euch vielmals!