Im Nachgang des letzten Länderabends in Hamburg zum Thema Frauenrechte hat Lilii einen Artikel verfasst. Ihr liegt das Thema Frauenrechte sehr am Herzen und möchte auch im journalistischen Sinne dieses Thema in die Öffentlichkeit bringen. Dies unterstützen wir und veröffentlichen gern im Folgenden Lilii’s Artikel.

 

Warum zeigen die Frauen in Russland Hausgewalt nicht an?

Heutzutage liest man im Internet schockierende Klagen der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt. Es ist die einzige „Bühne, wo sie ohne Angst auftreten können“. Die Frauen glauben anonym und deswegen sicher zu sein, im Rahmen der sozialen Netzwerke um Rat oder Hilfe zu bitten. Den richtigen Maßstab der Tragödie können wir uns aber gar nicht vorstellen. Laut der Angaben der Russischen Zeitung (Rossijskaja Gaseta) sterben jährlich 12-14 000 Frauen in Russland wegen häuslicher Gewalt, also eine Frau jede 40 Minuten. Zehntausende werden mörderisch verprügelt und verkrüppelt. Ist es der gewünschte Soll-Zustand unserer Gesellschaft? Können wir Frauen diese Pest unserer Zeit nicht bekämpfen?

Genug Fakten liegen uns auf dem Tisch. Die Realität aber zeigt, dass es für die russische Frau kaum möglich ist, der häuslichen Gewalt entgegenzustehen. Der Grund liegt nicht nur im Mangel an statistischen Untersuchungen und gesetzlichen Vorschriften und deutliche und objektive Statistik, sondern in der Einstellung der Gesellschaft und der Frau selbst zu diesem Problem. Die häufigsten Sprüche der Opfer der häuslichen Gewalt: „was sich liebt, das schlägt sich“, oder „aus dem Nähkästchen plaudert man nicht“ geben uns klare Vorstellung, dass die Frauen ein großes Schamgefühl und Angst haben, sich selbst vor Gericht zu vertreten, ganz zu schweigen davon, dass die traditionellen „Domostroi-Regeln“ für das familiär-alltägliche Verhalten, das aus dem 16. Jahrhundert stammen, bis jetzt nicht abgeschafft worden. Der Ehemann darin ist der Gott, der König, der Herrscher in der Familie. Der Platz für die Ehefrau ist in der Küche, am Herd.

Dieses Weltbild muss geändert werden. Denn der Mann, der einmal seine Frau verprügelt hat, wird weiter jede Art von Gewalt ausüben. Die Frauen müssen ihren Glauben aufgeben, dass „er sich ändert“, wenn er am nächsten Tag ihnen einen Nerzmantel oder Urlaub in die Türkei schenkt. Das ist seine Art, sich vom Opfer freizukaufen. Den Frauen fehlt es oft an Selbstbewusstsein. Die Männer haben mehr Chancen, gute Karrieren zu machen, unabhängig und wohlhabend zu werden. Diese Ungerechtigkeit auf der sozialen Ebene prägt die Ungleichheit in den familiären Beziehungen. Die Frau fühlt sich oft vom Gewalttäter abhängig. Sie hat große Furcht davor, dass sie alleine die Kinder nicht erziehen kann, weil sie keinen Wohnraum besitzt, oft auch keine vernünftige Arbeit hat. Sie ist gezwungen sowohl psychische als auch körperliche Gewalt zu dulden. Würde sie den Mann verklagen, würde sie auch nicht viel dadurch gewinnen. Es gibt nicht einmal ein spezielles Gewaltschutzgesetz. Gewalt und Gewalttätigkeiten werden nur durch Strafgesetzbuch sanktioniert. Der Täter wird mit Geldstrafe oder einer leichter Freiheitsstrafe bestraft. Im Endeffekt ist das Opfer wieder schutzlos.

In großen Städten gibt es Schutzheime für Frauen, die vergewaltigt wurden oder der häuslichen Gewalt ausgesetzt sind. Was mit den anderen? Wer wird den Frauen helfen, wenn nicht diese sich selbst? Wir brauchen auch Frauenvereine, wie die, die in Deutschland und anderen europäischen Länder gut funktionieren. Wir brauchen die Erfahrung und das Vorbild von Frauen, die das Problem bekämpfen konnten und den anderen helfen wollen, etwa dadurch, dass sie konkret und praktisch vermitteln, wie man ein Frauenhaus aufbaut und führt.

Der Staat und die Justiz müssen sich daran aktiv beteiligen. Zumindest muss ein Gewaltschutzgesetz, wie es in 89 Ländern praktisch funktioniert, endlich in Russland verabschiedet werden. Die Institutionen einerseits, und andererseits Männer und Frauen müssen für die bessere Zukunft der Frauen zusammenarbeiten, und sie so gewährleisten. Es ist zu hoffen, dass die Männer den Kern des Problems verstehen, den der algerische Schriftsteller Kamel Daoud treffend so ausdruckt: „Wer eine kranke Beziehung zur Frau hat, hat eine kranke Beziehung zur Welt“…“Wer die Frauen einschließt, macht die Männer zu Gefangenen “…“Wir werden ohne Freiheit der Frau nicht begreifen, was Freiheit ist“.