Den 26. April 2016, Dienstag – ich saß in der Vorlesung für Zoologie an der Zhejiang Normal University in China, als jemand mit einer deutschen Nummer mich anrief. Ich bin unter den Tisch gegangen und bevor ich das Telefon ergriffen habe, überlegte ich mir auf welche Sprache ich das Begrüßungswort sagen sollte – Deutsch, Russisch, Englisch, Usbekisch oder Chinesisch? Wer konnte wissen, wer mich von Deutschland aus auf meine chinesische Nummer anrief. Ich entschied mich für Deutsch!
“Hallo Salim, ich heiße Rüdiger Marx, von Copernicus Stipendium, worum du dich beworben hast….“. Ich bemühte mich möglichst schnell von Chinesisch auf Deutsch zu konzentrieren und dachte, dass meine Bewerbung wahrscheinlich so schlecht war, dass sogar der Vorstand sich davon überzeugen wollte, dass es auf der Welt noch solche dumme „Köpfe“ existieren. Warum sollte man eigentlich anrufen, um eine Absage mitzuteilen? Kann man nicht einfach per Email darüber informieren? „…Das Stipendium wurde Dir zugesprochen…“. Stopp! Was? Meint er vielleicht NICHT zugesprochen? Habe ich mich das Kernwort in diesem Satz verhört? Im Laufe der einigen Sekunden hatte ich tausende Gedanken, wie schlecht meine Bewerbung war. Das war aber glücklicherweise nicht nötig! Ich konnte einige Minuten daran nicht glauben, dass eine deutsche Organisation meine 13-jährige Leistungen endlich anerkannt und eine finanzielle Unterstützung für das Studium im Herzen Europas angeboten hat. Das Telefonat, das ich von Copernicus erhalten habe, ist sicherlich eine der erfreulichsten Mitteilungen, die ich in meinem Leben erhalten habe. Ich danke dem ganzen Copernicus Verein vom ganzen Herzen für seinen Glauben an mich und so eine Art der Großzügigkeit!
Ich bin stolz, den Studiengang Molecular Life Sciences studiert zu haben, der bundesweit nur an der Universität Hamburg existiert und eine Mischung aus der Biologie, Chemie und Medizin ist. Die Fächerauswahl war einfach zu breit – von den aus den verschiedenen Fachbereichen meiner Fakultät an der Universität Hamburg bis zu den aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Mikrobiologie, Biochemisches Literaturseminar, Biochemie und Molekularbiologie und dazu noch jeweils 7-stündige praktische Unterrichte im Labor, wo wir uns mit dem Lernen der Mikroorganismen, der immunologischen Prozessen im Organismus, dem Einbau und Ausschneiden von Mutationen, dem DNA-Klonieren und vieles anderes, unglaublich innovatives und interessantes beschäftigt haben – ich fühlte mich wie ein Fisch im Wasser. Das war genau das, was ich erlernen wollte und was meinem Studiengang in China (Biotechnologie) völlig entsprach. Täglich mehr als 9 Stunden an der Universität zu sein, ohne die Stadt mehr zu genießen und durch Europa zu reisen, hat sich gelohnt. Ich habe alle Klausuren bestanden, ohne als einziger Austauschstudent im Studiengang irgendwie eine Ausnahme zu kriegen. Gleichberechtigung, Selbständigkeit und Motivation – diese drei Wörter verkörperte ich jeden Tag. Durch meinen zum Studium entsprechenden Sprachkenntnissen und den erbrachten Leistungen mit meinen 20 Jahren erhielt ich einen großen Respekt von allen Professoren, wodurch sie eine große Erwartung auf mich legten und ständig gleich mit meinen deutschen Kommilitonen ausnahmslos schätzten. Dadurch bin ich noch stärker, selbstsicherer mit meinen Sprach- und Fachkenntnissen und konkurrenzfähiger geworden.
Da ich mein ganzes Bachelorstudium in Biotechnologie in China mache, wo ich ebenfalls ein Ausländer bin, konnte ich das Studium in zwei verschiedenen hochentwickelten Ländern der Welt vergleichen. Und selbstverständlich gibt es einen großen Unterschied: Die Auswahl an Fächern, die Möglichkeit, verschiedene Fachmodule von verschiedenen Semestern auszuwählen, das Verhältnis zwischen den Professoren und Studenten, der Aufbau von den Vorlesungsfolien und insgesamt das studentische Leben unterscheidet sich in Deutschland von China sehr. Da ich schon dank meinem Studium in China eine hohe interkulturelle Kompetenz entwickelt habe, war es für mich nicht so schwierig neue Freundschaften zu schließen und in eine neue Gesellschaft zu integrieren.
Beim Integrieren in die neue Gesellschaft hat mir aber auch meine unglaublich tolle Gastfamilie geholfen. Abends fuhr ich möglichst schnell nach Hause zurück, um zumindest beim Abendessen mit meinen Gasteltern zu diskutieren, weil ich immer den ganzen Tag an der Uni war. Und „nach Hause“ entspricht voll und ganz seiner Bedeutung, weil ich mich wirklich wie Zuhause fühlte. Die Gedanken, dass jemand noch auf dich wartet, hilft moralisch natürlich sehr. Ich schätzte das Wohnen bei meiner Gastfamilie jede Sekunde, weil ich ein volles Verständnis habe, was bedeutet, allein in einem fremden Land dauerhaft zu wohnen. Peter und Hella setzten sich wertvoll ein und haben alles Beste gemacht, damit mein Aufenthalt in Deutschland möglichst gut ablaufen wird. Und das ist ihnen sehr gut gelungen: das Wohnen in einem großen, schönen und gemütlichen Haus, das Frühstück mit leckeren deutschen Brötchen unter der klassischen Musik, die interessante Gespräche, das sonntägige Fernsehen mit den Hollywood Filmen am Abend, die Fahrt nach Schwerin mit dem Auto durch das Land, wo ich die Natur Deutschlands genießen konnte und die unvergessliche Feiertage. Am besten hat mir sehr gut gefallen, wie ich zusammen mit den Gasteltern, den Gastbrüdern und ihren eigenen Familien Weihnachten gefeiert habe. Der große Tannenbaum, viel Essen, Geschenke, Spiele, Spaziergänge und Gespräche bis Mitte Nacht – wirklich wie in einem Christmas Movie. Ich war auch ein Teil der großen Familie Weiß, wovon ich bereits am Anfang des Stipendienprogramms geträumt habe. Dafür bedanke ich mich bei dieser warmherzigen, humorvollen und freundlichen Familie vom ganzen Herzen.
Ich möchte meine Dankbarkeit ebenfalls an die Dürr-Stiftung äußern. Ich lernte Deutsch, Landeskunde und Geschichte Deutschlands 12 Jahre, aber in diesem Zeitraum hatte ich keine Gelegenheit das Leben im Herzen Europas zu genießen und überhaupt zu sehen, ob es meinen Erwartungen und Hoffnungen entspricht. Nachdem ich mein Studium in China mit einem Vollstipendium begonnen habe, dachte ich , dass ich schon nie in Deutschland studieren werde, oder vielleicht nur Master, aber bis daher verliere ich meine Deutsch-Kenntnisse. Ich habe mich um das Copernicus Stipendium beworben, ohne mit einer Zusage gerechnet zu haben. Aber größten Teils dank der Dürr-Stiftung, die an mich geglaubt und meine Worte und Gedanken im von mir erstellten Motivationsschreiben vollständig gefolgt und verstanden hat, ist mein Traum in Erfüllung gegangen. Ich bin sehr froh genau von der Dürr-Stiftung gefördert zu sein, weil Frau und Herr Dürr nicht nur von meiner Kandidatur überzeugt waren, sondern auch, dass sie zwei Ärzte von Beruf waren, mit denen Biotechnologen sehr eng arbeiten. Vielleicht ist es ein Zufall oder doch nicht, aber Medizin folgt mir von Kindheit an, weil ich aus einer ärztlichen Familie komme. Und deswegen lege ich einen großen Wert darauf, was mir diese Menschen geschenkt haben – das sechsmonatige Leben wie in einem Märchen voll von unvergesslichen Momenten. Und was nehmen wir am Ende des Lebens mit? Genau – Momente, die wir erlebt haben. Und die Tatsache, dass diese Menschen mich vorher nicht kannten und für meine Leistungen eine finanzielle Förderung angeboten haben, beeindruckt mich noch mehr. Wofür? Und für wen? Für mich? Habe ich das wirklich verdient, sodass sie mich ausgewählt haben? Diese Frage stellte ich mir jeden Tag und trug eine enorme Verantwortung, ihre Erwartungen zu erfüllen. Ich lernte täglich in der Bibliothek und war trotzdem hungrig auf das Lernen. Das war unglaublich interessant und habe mich heute nochmals davon überzeugt, dass ich das studiere, was am nächsten an meinem Herzen liegt. Ich habe mein Bestes gegeben, um neben den fünf Prüfungen noch dazu das schwierigste Fachmodul in meinem Studiengang an der Universität Hamburg zu bestehen und 15 Leistungspunkte zu erwerben. Und das habe ich geschafft. An unserem letzten Länderabend bin ich zu Frau Dürr und Herrn Dürr gegangen und meine Dankbarkeit persönlich geäußert. Ich bin stolz und unbeschrieben dankbar, von ihnen gefördert zu sein.
Selbstverständlich geht es bei dem Copernicus Stipendium nicht nur um ein Studium, sondern auch um ein Berufspraktikum. Es fiel schwer, das Bewerbungsschreiben so zu erstellen, damit ich einen Arbeitgeber von eigener Kandidatur überzeugen konnte. Ich habe einen sehr außergewöhnlichen Motivationsbrief geschrieben, wo ich erworbene Kompetenzen in jedem Satz gelobt habe. Das war ein Risiko, weil man eine Grenze zu der Selbstsicherheit nicht überschreiten darf. Aber ohne dieses Risiko hätte ich drei Vorstellungsgespräche bei weltweit bekannten Forschungsinstituten und Firmen nicht gehabt. Bei den Vorstellungsgesprächen war ich stundenlang angefragt. Aufgeregt aber strukturierte argumentativ gute Sätze, sodass ich jetzt Mitarbeiter von Eurofins Labs bin – eine der weltweit größten biotechnologischen Konzerne, die in 39 Ländern mit verschiedenen Fachrichtungen existiert. Copernicus hat mir die Chance gegeben, einen Einblick in den beruflichen Alltag bei so einer bekannten Bio-Firma zu bekommen und davon zu profitieren.
Meine Freizeit in Hamburg wurde aber auch sehr gut verbracht. Ich habe viele neue Freunde rund um den Planeten, von Amerika bis hin zu Japan, gewonnen, mit denen ich jedes Wochenende etwas unternommen habe: Restaurants, Bars, Clubs, Home-Partys, Reise nach Berlin, Lübeck und München. Ich habe glücklicherweise sehr nette Deutsche kennengelernt, die mir ein Megapolis wie Hamburg von verschiedenen Seiten und zu verschiedener Tageszeit gezeigt und meinen Aufenthalt hier bunter und heller gemacht haben.
Und was die weltweit bekannten Vorurteile über die Deutschen betrifft, dass sie „kalt“ und unfreundlich sind, stimmen überhaupt nicht. Ich war bereit, als ein Asiat mit schwarzen Haaren von einem deutschen Kreis abgegrenzt zu sein. Aber eigentlich spielt deine Rasse, dein Glaube und deine Nationalität gar keine Rolle. Viel wichtiger ist offen zu sein und eine interkulturelle Kompetenz bei sich zu entwickeln, um zu verstehen, dass sie nicht „kalt“ sind, sondern nur so einen Lebensstil haben, welcher von deinem unterschiedlich ist. Das heißt nicht, dass Deutsche nicht freundlich sind und keinen Humor besitzen. Sie sind nur anders erzogen und in einer anderen Gesellschaft gewachsen. Meine deutschen Freunde sind ziemlich nett und hilfsbereit, sodass ich nie eine Absage für meine Anfrage über die Hilfe erhalten habe. Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Respekt und volles Verständnis, dass es manchmal schwierig sein kann, an die Gewohnheiten einer anderen Gesellschaft anzupassen – all das beschreibt die Eigenschaften von meinen deutschen Freunden. Ich habe mich mit den Leuten so gut befreundet, sodass es jetzt schwierig wird, uns zu trennen und nach China zurückzukehren.
Die Gefühle sind jetzt gemischt. Einerseits möchte ich nach China, weil ich mein eigenes Apartment, Freunde und das Studium auf eine ziemlich andere Sprache (Chinesisch) habe, aber andererseits möchte ich auch hier gerne bleiben. Die Prioritäten sind aber schon richtig festgestellt – ich mache meinen Bachelorabschluss in China und erwerbe ein Masterstudium in Deutschland.
Für alle diejenigen, die sich für das Copernicus Stipendium interessieren, sollen auf Folgendes aufpassen: Das Auslandsemester hat neben Vorteilen aber auch Nachteile. Man muss fähig sein, sozusagen, in einen schon laufenden Zug einzusteigen und in einer relativ kurzen Zeit einen eigenen Platz zu finden. In der ersten Zeit wird es wahrscheinlich schwierig, mit euren Kenntnissen dem Studium in Deutschland gerecht zu werden, weil das Kenntnis-Niveau vergleichsweise zu den von den deutschen Kommilitonen unterschiedlich sein kann. Ihr habt aber nur 4 Monate, um alle mangelnden Kenntnisse zu erwerben und die Klausuren zu bestehen. Wenn ihr das aber schafft, wird dieses Semester ein Sprungbrett für eure erfolgreiche Zukunft.
So ist Copernicus Stipendium für mich ein Sprungbrett für meine internationale Laufbahn geworden.
Copernicus, vielen Dank!